NeuroLeadership Podcast - Episode 2
“Ich-Botschaften und deren Auswirkungen auf die Kommunikation in der Führung”
STANDARD-INTRO
Willkommen bei NeuroLeadership – Führung trifft Nervensystem. Dein Podcast für klare Führung, mentale Stärke und neuroinklusive Organisationen. Hier bekommst Du in wenigen Minuten: Wissenschaft, Wirkung – und Werkzeuge.
HOOK & EINSTIEG
[Eindringlicher Ton] “Wenn ich sehe, dass Du im Meeting passiv bist, dann fühle ich mich frustriert. Ich habe das Bedürfnis nach aktiver Teilnahme. Ich würde mich freuen, wenn Du Dich mehr einbringst.”
Kommt Dir dieser Satz bekannt vor? Vielleicht hast Du ihn sogar selbst schon verwendet – oder in einem Kommunikationstraining gelernt.
Es ist die klassische Ich-Botschaft. Ein Kommunikationstool, das seit Jahrzehnten in Führungskräftetrainings gelehrt wird. Ein Werkzeug, das angeblich Konflikte entschärfen und die Kommunikation verbessern soll.
Aber was, wenn ich Dir sage, dass diese Ich-Botschaften in Wahrheit oft das Gegenteil bewirken? Dass sie Nervensysteme triggern, statt sie zu beruhigen? Dass sie besonders für neurodivergente Menschen eine versteckte Belastung darstellen können?
[Kurze Pause]
Mein Name ist [DEIN NAME] und in der heutigen Folge tauchen wir tief ein in die Welt der Ich-Botschaften, ihre neurologischen Auswirkungen und – noch wichtiger – in die Alternativen, die wirklich zu einer neuroinklusiven Führungskultur beitragen.
TEIL 1: EINFÜHRUNG IN ICH-BOTSCHAFTEN – WAS SIE SIND UND WARUM SIE GELEHRT WERDEN
Ich-Botschaften folgen in ihrer klassischen Form einem bestimmten Schema:
1. Beobachtung schildern: “Wenn ich sehe/höre/bemerke, dass…”
2. Gefühle ausdrücken: “…dann fühle ich mich…”
3. Bedürfnis schildern: “Ich habe das Bedürfnis nach…”
4. Bitte äußern: “Ich würde mich freuen, wenn du…”
Dieses Kommunikationsmodell wurde ursprünglich von Thomas Gordon in den 1960er Jahren entwickelt und später durch Ansätze wie die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg populär gemacht. Die Grundidee dabei: Statt mit anklagenden Du-Botschaften zu kommunizieren (“Du bist immer so passiv in Meetings”), soll die sprechende Person die Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen und beim eigenen Erleben bleiben.
Auf den ersten Blick klingt das vernünftig. Sogar empathisch. Die Absicht dahinter ist durchaus lobenswert – weniger Konfrontation, mehr Verbindung.
Und doch gibt es ein Problem. Ein grundlegendes Problem, das besonders im Führungskontext zum Tragen kommt.
TEIL 2: WARUM ICH-BOTSCHAFTEN IM FÜHRUNGSKONTEXT PROBLEMATISCH SEIN KÖNNEN
Das zentrale Problem von Ich-Botschaften in der Führung liegt in der Machtdynamik. Als Führungskraft stehst Du in einer Position mit mehr formaler Macht – und das verändert fundamental, wie Deine Worte aufgenommen werden.
Betrachten wir nochmal unser Beispiel vom Anfang:
“Wenn ich sehe, dass Du im Meeting passiv bist, dann fühle ich mich frustriert. Ich habe das Bedürfnis nach aktiver Teilnahme. Ich würde mich freuen, wenn Du Dich mehr einbringst.”
Was passiert neurobiologisch bei der Person, die diese Nachricht empfängt?
Erstens: Die scheinbar neutrale “Beobachtung” wird oft als Urteil wahrgenommen. “Du bist passiv” ist keine objektive Beobachtung – es ist eine Bewertung. Für das Nervensystem des Empfängers kann dies bereits ein Bedrohungssignal darstellen.
Zweitens: Wenn die Führungskraft ihre Gefühle der Frustration äußert, kann dies beim Gegenüber Schuld- und Schamgefühle auslösen. Die implizite Botschaft lautet: “Dein Verhalten ist der Grund für meine negativen Gefühle.” Dies aktiviert das Verteidigungssystem im Gehirn – den dorsolateralen präfrontalen Kortex, der für Selbstrechtfertigung zuständig ist.
Drittens: Die Äußerung des eigenen Bedürfnisses aus der Machtposition heraus wird zur impliziten Forderung. Wenn die Führungskraft ihr “Bedürfnis nach aktiver Teilnahme” äußert, wird dies nicht als gleichberechtigter Wunsch, sondern als Anforderung verstanden.
Viertens: Die “Bitte” am Ende ist keine echte Bitte mehr, sondern wird durch den Machtkontext zur Anweisung. “Ich würde mich freuen, wenn Du Dich mehr einbringst” übersetzt das Gehirn in “Du musst Dich mehr einbringen, sonst gibt es Konsequenzen.”
Diese Dynamik wird noch komplexer, wenn wir neurodivergente Teammitglieder betrachten. Menschen mit ADHS, Autismus oder anderen neurologischen Unterschieden können besonders sensibel auf diese Art der emotionalen Kommunikation reagieren:
* Für autistische Menschen kann die Anforderung, auf emotionale Botschaften der Führungskraft reagieren zu müssen, eine zusätzliche kognitive Belastung darstellen.
* Für Menschen mit ADHS kann die implizite Kritik das Gefühl der Unzulänglichkeit verstärken, das sie ohnehin häufig erleben.
* Für hochsensible Personen kann die emotionale Aufladung der Situation überwältigend sein.
Ein weiteres Problem: Ich-Botschaften heben das Gespräch auf eine persönlich-emotionale Ebene. Dabei geht es in professionellen Kontexten oft gar nicht um persönliche Gefühle, sondern um sachliche Arbeitsanforderungen.
TEIL 3: ALTERNATIVEN ZU ICH-BOTSCHAFTEN FÜR EINE NEUROINKLUSIVE FÜHRUNGSKOMMUNIKATION
Wenn Ich-Botschaften problematisch sein können – was sind die Alternativen? Wie können wir als Führungskräfte klar, direkt und dennoch respektvoll kommunizieren, ohne das Nervensystem unserer Teammitglieder unnötig zu belasten?
Hier sind drei konkrete Alternativen:
Alternative 1: Sachbezogene Kommunikation mit klarem Kontext
Statt die emotional aufgeladene Ich-Botschaft zu verwenden, könnte die gleiche Situation so angesprochen werden:
“In unseren Team-Meetings geht es darum, dass alle Perspektiven gehört werden und wir gemeinsam die besten Lösungen finden. Ich habe bemerkt, dass Du in den letzten drei Meetings wenig gesprochen hast. Ich bin sicher, dass Deine Perspektive wertvoll für das Team ist. Was bräuchte es, damit Du Deine Gedanken leichter einbringen kannst?”
Was ist hier anders?
* Die Kommunikation beginnt mit dem sachlichen Kontext und Zweck
* Sie vermeidet Bewertungen wie “passiv”
* Sie macht die eigenen Gefühle nicht zum Thema
* Sie endet mit einer echten Frage, die Raum für individuelle Bedürfnisse lässt
Alternative 2: Direkte Anfragen statt emotionaler Umwege
Eine noch direktere Alternative könnte so aussehen:
“Ich würde gerne Deine Gedanken zu diesem Projekt hören. Hast Du Zeit, mir bis Freitag drei Punkte per E-Mail zu schicken, die aus Deiner Sicht wichtig sind?”
Was ist hier anders?
* Die Anfrage ist klar und spezifisch
* Sie enthält konkrete Handlungsschritte
* Sie bietet Flexibilität im Wie (schriftlich statt mündlich)
* Sie verzichtet komplett auf den emotionalen Umweg
Alternative 3: Lösungsorientierte Kommunikation mit Wahlmöglichkeiten
Ein dritter Ansatz könnte sein:
“Für das anstehende Projekt brauchen wir Input aus verschiedenen Perspektiven. Wie möchtest Du Dich am liebsten einbringen? Ich sehe mehrere Möglichkeiten: Du könntest im Meeting direkt sprechen, Deine Ideen vorab schriftlich einreichen, oder in einer kleineren Gruppe diskutieren. Was würde für Dich am besten funktionieren?”
Was ist hier anders?
* Der Fokus liegt auf dem gemeinsamen Ziel
* Es werden mehrere Optionen angeboten
* Die Person behält Autonomie über das Wie
* Das Gespräch bleibt auf der Sachebene, ohne emotionale Aufladung
Diese Alternativen haben gemeinsam, dass sie:
* Das Nervensystem nicht unnötig belasten
* Klarheit schaffen ohne emotionale Umwege
* Raum für individuelle Unterschiede lassen
* Die Würde und Autonomie aller Beteiligten wahren
Ein wichtiger Punkt noch: Diese Alternativen bedeuten nicht, dass wir unsere eigenen Gefühle unterdrücken oder ignorieren sollen. Als Führungskräfte müssen wir uns unserer Emotionen bewusst sein und für diese Verantwortung übernehmen. Aber wir müssen sie nicht immer zum Ausgangspunkt unserer Kommunikation machen – besonders nicht, wenn wir in einer Machtposition sind.
ABSCHLUSS & CALL-TO-ACTION
Die Art, wie wir kommunizieren, formt die Kultur in unseren Teams – und hat direkte Auswirkungen auf das Nervensystem aller Beteiligten. Wenn wir eine wirklich neuroinklusive Führungskultur schaffen wollen, müssen wir manchmal alte Gewohnheiten hinterfragen – selbst solche, die mit den besten Absichten gelehrt wurden.
Ich-Botschaften können in gleichberechtigten persönlichen Beziehungen durchaus wertvoll sein. Aber im Führungskontext brauchen wir ein erweitertes Repertoire an Kommunikationswerkzeugen, die die Machtdynamik berücksichtigen und die neurologische Vielfalt unserer Teams respektieren.
Merke Dir diese drei Sätze:
Wer führt, trägt Verantwortung für die Wirkung seiner Worte – nicht nur für die Absicht.
Die beste Absicht kann nicht die negative Wirkung einer unangemessenen Kommunikationsform ausgleichen.
Führungskommunikation sollte Nervensysteme entlasten, nicht belasten.
Jede Interaktion ist eine Chance, Sicherheit zu schaffen oder zu untergraben.
Neuroinklusive Kommunikation ist nicht weicher, sondern klarer.
Es geht nicht darum, weniger direkt zu sein, sondern darum, direkter zum eigentlichen Punkt zu kommen – ohne emotionale Umwege.
In der nächsten Folge werden wir uns damit beschäftigen, wie wir Feedback geben können, das wirklich ankommt und angenommen werden kann – auch und gerade bei neurodivergenten Teammitgliedern.
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Bis zum nächsten Mal! Sei präsent, sei verbunden. Führe mit dem Verständnis für dein Nervensystem.
OUTRO
Das war NeuroLeadership – Führung trifft Nervensystem. Dein Podcast für klare Führung, mentale Stärke und neuroinklusive Organisationen.