NeuroLeadership Podcast - Episode 6
“Mein Mitarbeiter hat ADHS - und jetzt?”
STANDARD-INTRO
Willkommen bei NeuroLeadership – Führung trifft Nervensystem. Dein Podcast für klare Führung, mentale Stärke und neuroinklusive Organisationen. Hier bekommst Du in wenigen Minuten: Wissenschaft, Wirkung – und Werkzeuge.
HOOK & EINSTIEG
[Eindringlicher Ton] Es ist Dienstagnachmittag. Du sitzt in Deinem Büro, als Sarah, eine Deiner besten Projektleiterinnen, an die Tür klopft. Sie setzt sich, atmet tief durch und sagt: “Ich muss Dir etwas sagen. Ich habe ADHS. Ich wurde letzte Woche diagnostiziert, und ich dachte, Du solltest es wissen.”
Für einen Moment herrscht Stille. In Deinem Kopf überschlagen sich die Gedanken: “ADHS? Aber sie ist doch so erfolgreich. Ist sie sich sicher? Haben nicht alle irgendwie ADHS heutzutage ?”
Und dann hörst Du Dich sagen: “Bist Du Dir sicher? Ich meine… jeder hat doch irgendwie ADHS, oder?”
Sarah’s Gesichtsausdruck verändert sich. Die Offenheit weicht Enttäuschung. Das Vertrauen, das sie gerade gezeigt hat, bröckelt vor Deinen Augen.
[Kurze Pause]
Kommt Dir diese Situation bekannt vor? Falls ja, bist Du nicht allein. Diese Reaktion – das Anzweifeln, das Verharmlosen, das reflexartige “Aber jeder hat doch…” – ist eine der häufigsten Antworten, die ich in meiner Arbeit mit Führungskräften erlebe.
Mein Name ist [DEIN NAME] und in der heutigen Folge sprechen wir über ein Phänomen, das in deutschen Büros täglich passiert: Ein Mitarbeiter vertraut Dir an, dass er ADHS hat – und Du weißt nicht, wie Du reagieren sollst. Wir schauen uns an, warum unsere ersten Reaktionen oft so problematisch sind, was psychologisch dahintersteckt, und vor allem: wie Du als Führungskraft wirklich hilfreich reagieren kannst.
TEIL 1: DIE FLUCHTREAKTION – WARUM WIR ANZWEIFELN UND VERHARMLOSEN
Lass uns ehrlich sein: Wenn ein Mitarbeiter Dir mitteilt, dass er ADHS hat, fühlst Du Dich wahrscheinlich erst einmal überfordert. Das ist völlig normal – und menschlich. Aber unsere Reaktionen in solchen Momenten verraten viel über unsere eigenen Unsicherheiten.
Und Unsicherheiten wollen wir nur ungern aushalten.
Daher rutschen wir in einen gut gemeinten Automatismus.
Die häufigsten problematischen Reaktionen, die ich beobachte:
“Bist Du Dir sicher?” – Als würdest Du die Kompetenz der Ärzte und Psychologen anzweifeln, die die Diagnose gestellt haben.
“Aber jeder hat doch irgendwie ADHS” – Eine Verharmlosung, die die individuelle Erfahrung Deines Mitarbeiters kleinredet.
“Du wirkst aber gar nicht so” – Basierend auf Klischees und Vorurteilen über ADHS.
“Brauchst Du jetzt Medikamente?” – Eine sehr persönliche Frage, die nichts mit der Arbeitsleistung zu tun hat.
Aus psychologischer Sicht sind diese Reaktionen klassische Vermeidungsstrategien. Dr. Susan David, Psychologin an der Harvard Medical School, beschreibt dieses Phänomen als “emotionale Vermeidung” – wir flüchten aus Situationen, die uns unsicher oder unwohl fühlen lassen.
Warum passiert das? Unser Gehirn ist darauf programmiert, Unbekanntes als potenzielle Bedrohung zu bewerten. Wenn wir mit Neurodiversität konfrontiert werden – einem Thema, für das viele von uns keine Erfahrung oder Werkzeuge haben – aktiviert sich unser Stresssystem. Die Folge: Wir greifen zu schnellen, oft unüberlegten Reaktionen, um die Situation zu “normalisieren” oder zu entkräften.
Ein weiterer Faktor ist das, was Psychologen “Kategorisierungsdrang” nennen. Unser Gehirn liebt Schubladen – sie geben uns das Gefühl von Kontrolle und Vorhersagbarkeit. Wenn jemand sagt “Ich habe ADHS”, suchen wir sofort nach bekannten Mustern. Passt die Person in unser Bild von ADHS? Wenn nicht, zweifeln wir an.
Besonders problematisch wird es, wenn wir selbst Eigenschaften bei uns erkennen, die wir mit ADHS verbinden. “Ich bin auch manchmal unkonzentriert” führt dann zu “Jeder hat doch ADHS” – eine Reaktion, die die realen neurologischen Unterschiede und Herausforderungen von Menschen mit ADHS völlig ignoriert.
TEIL 2: DAS LABEL-DILEMMA – WARUM WIR SICHERHEIT IN KATEGORIEN SUCHEN
Hier kommen wir zu einem zentralen Punkt: Warum sind wir so besessen von Labels und Diagnosen? Und warum fühlen wir uns unwohl, wenn jemand ein Label für sich beansprucht, das wir nicht “sehen” können?
Die Antwort liegt in unserem fundamentalen Bedürfnis nach Sicherheit und Vorhersagbarkeit. Labels geben uns das Gefühl, eine Person “verstehen” und ihr Verhalten einordnen zu können. Sie reduzieren Komplexität auf handhabbare Kategorien.
Aber hier liegt auch die Falle: Menschen sind keine Kategorien. ADHS ist ein Spektrum mit unendlich vielen Ausprägungen. Sarah aus unserem Eingangsszenario kann hochfunktional sein und trotzdem täglich mit innerer Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten oder emotionaler Dysregulation kämpfen.
Neuropsychologin und ADHS-Spezialistin, erklärt es so: “ADHS ist wie ein Eisberg. Was wir sehen – die äußeren Verhaltensweisen – ist nur ein kleiner Teil. Der größte Teil der Herausforderungen spielt sich innerlich ab: die ständige Anstrengung, sich zu konzentrieren, die emotionale Achterbahn, die Erschöpfung durch das ständige ‘Maskieren’.”
Maskieren – das ist ein Schlüsselbegriff. Viele Menschen mit ADHS, besonders Frauen, haben gelernt, ihre Symptome zu verstecken. Sie entwickeln Kompensationsstrategien, arbeiten härter als andere, um die gleichen Ergebnisse zu erzielen, und wirken nach außen völlig “normal”. Wenn sie sich dann öffnen und ihre Diagnose teilen, passt das nicht zu unserem Bild – und wir zweifeln an.
Ein praktisches Beispiel: Marcus, ein Teamleiter in einem Beratungsunternehmen, erzählte mir von seinem Mitarbeiter Tom. Tom war immer pünktlich, gut organisiert und lieferte qualitativ hochwertige Arbeit ab. Als Tom ihm mitteilte, dass er ADHS habe, war Marcus’ erste Reaktion: “Das kann nicht sein, Du bist doch so strukturiert!”
Was Marcus nicht wusste: Tom stand jeden Morgen eine Stunde früher auf, um seine Aufgaben zu planen. Er hatte ein ausgeklügeltes System aus Apps, Erinnerungen und Routinen entwickelt. Seine “Struktur” war nicht natürlich – sie war das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit an sich selbst.
TEIL 3: WAS WIRKLICH ZÄHLT – JENSEITS VON LABELS UND KATEGORIEN
Jetzt kommen wir zum Kern der Sache: Was ist eigentlich Dein Auftrag als Führungskraft? Ist es, Diagnosen zu bewerten oder medizinische Einschätzungen zu treffen? Nein. Dein Auftrag ist es, Dein Team so zu führen, dass jeder sein Potenzial entfalten kann.
Wenn ein Mitarbeiter Dir vertraut und seine ADHS-Diagnose teilt, dann ist das ein Geschenk. Es ist ein Zeichen von Vertrauen und der Wunsch nach besserer Zusammenarbeit. Die Person sagt Dir im Grunde: “Ich möchte, dass Du verstehst, wie ich funktioniere, damit wir noch besser zusammenarbeiten können.”
Was zählt wirklich in der Arbeit? Lass uns ehrlich sein:
Die Qualität der Zusammenarbeit – Kann die Person effektiv mit dem Team kommunizieren und kollaborieren?
Die Arbeitsleistung – Werden die vereinbarten Ziele erreicht?
Die Potenzialentfaltung – Hat die Person die Möglichkeit, ihre Stärken zu nutzen und sich weiterzuentwickeln?
Das Sicherheitsgefühl – Fühlt sich die Person psychologisch sicher und kann authentisch sein?
Keiner dieser Punkte hängt davon ab, ob jemand ADHS hat oder nicht. Sie hängen davon ab, wie gut Du als Führungskraft die individuellen Bedürfnisse Deines Teams verstehst und darauf eingehst.
Dr. Brené Brown, Forscherin für Verletzlichkeit und Führung, sagt: “Führung ist nicht davon abhängig, dass wir alle Antworten haben. Führung zeigt sich darin, dass wir neugierig bleiben und bereit sind zu lernen.”
Diese Neugier ist der Schlüssel. Anstatt in Kategorien zu denken oder Diagnosen zu hinterfragen, können wir uns fragen: “Was kann ich von dieser Person lernen? Wie kann ich sie besser unterstützen?”
TEIL 4: DIE RICHTIGEN FRAGEN – WIE DU WIRKLICH HILFREICH REAGIERST
Jetzt wird es praktisch. Wie reagierst Du also, wenn ein Mitarbeiter Dir seine ADHS-Diagnose mitteilt? Hier sind die Fragen und Reaktionen, die wirklich einen Unterschied machen:
Statt: “Bist Du Dir sicher?”
Sage: “Danke, dass Du mir das anvertraust. Das zeigt mir, dass Du unsere Zusammenarbeit verbessern möchtest.”
Diese Reaktion würdigt das Vertrauen und macht deutlich, dass Du die Information als Chance für bessere Zusammenarbeit siehst.
Statt: “Aber jeder hat doch ADHS”
Sage: “Ich schätze Deine Offenheit. Jeder Mensch ist einzigartig, und ich möchte verstehen, wie Du am besten arbeitest.”
Hier anerkennst Du die Individualität der Person und zeigst echtes Interesse an ihren spezifischen Bedürfnissen.
Statt: “Du wirkst aber gar nicht so”
Sage: “Ich merke, dass Du sehr professionell mit Deinen Herausforderungen umgehst. Was kann ich tun, um Dich noch besser zu unterstützen?”
Diese Antwort würdigt die Kompensationsstrategien der Person und bietet konkrete Hilfe an.
Die wirklich hilfreichen Fragen sind:
“Womit kann ich Dich unterstützen?” – Diese Frage zeigt, dass Du bereit bist, aktiv zu helfen.
“Wie arbeitest Du am besten?” – Hier geht es um praktische Arbeitsoptimierung, nicht um die Diagnose.
“Worauf soll ich achten?” – Du bittest um konkrete Hinweise für die Zusammenarbeit.
“Was brauchst Du, um Dein Bestes geben zu können?” – Der Fokus liegt auf Potenzialentfaltung.
“Gibt es Situationen, die besonders herausfordernd für Dich sind?” – Du zeigst Verständnis für mögliche Schwierigkeiten.
Ein Beispiel aus der Praxis: Als Petra, eine Abteilungsleiterin, von ihrem Mitarbeiter Jan erfuhr, dass er ADHS hat, reagierte sie so: “Danke für Dein Vertrauen, Jan. Ich schätze, dass Du mir das mitteilst. Lass uns gemeinsam schauen, wie wir Deine Arbeitsumgebung optimieren können. Was würde Dir helfen?”
Dies ist ein Gesprächsrahmen der jedem zugängig ist auch ohne explizitites kompetenztraining.
In diesem Zusammenhang, möchte ich gerne ein Feeebdack einer Ausbildungsleiterin mit Dir teilen, die eines meiner Führungskomptenztrainings besucht hatte. Hier mit Wortlaut, weil es die Verändeurng so kraftvoll beschreit.
*„Vor dem Training hätte ich mir die Betreuung von Tobias niemals zugetraut.
Aber jetzt höre ich Dinge – und dann fallen mir direkt die passenden Methoden ein, die ich ihm anbieten kann.
Wenn ich sehe, dass er Herausforderungen mit Kommunikation hat oder Angst vor sozialer Reizüberflutung spürt, dann habe ich jetzt eine Kompetenz in mir, die ich mir vorher gar nicht zugetraut hätte.
Ich fühle mich richtig sicher und habe ein entsprechendes Selbstbewusstsein in der Führung und in meiner Problemlösungskompetenz.
Früher hätten mich solche Situationen total überfordert oder ich hätte sie einfach nicht nachvollziehen können, weil ich diese Erfahrungen selbst nicht habe.
Mir persönlich hat das Training geholfen, eine Sicherheit zu entwickeln, wie ich an Probleme mit solchen Personen herangehen kann – ganz gleich, ob sie neurodivergent sind oder nicht.“*
Dieses Feedback zeigt etwas Entscheidendes:
Sicherheit ist der Schlüssel.
Wenn wir als Führungskräfte wissen, was wir tun können, verändert das unsere gesamte Haltung.
Wir kommunizieren klarer.
Wir stellen souveräner Fragen.
Wir bieten gezielter Unterstützung an.
Und wir schaffen Räume, in denen echte Zusammenarbeit entstehen kann.
Genau das sehen wir auch im Beispiel von Petra und ihrem Mitarbeiter Jan.
Petra reagierte nicht nur verständnisvoll – sie nahm Jans Bedürfnisse ernst und ging sie gemeinsam mit ihm an. Das Gespräch führte zu ganz konkreten Verbesserungen:
Jan bekam einen ruhigeren Arbeitsplatz, flexiblere Deadlines für komplexe Projekte und regelmäßige kurze Check-ins statt langer Meetings.
Das Ergebnis: Seine Produktivität stieg, und das gesamte Team profitierte von den strukturierteren Prozessen.
Beide Beispiele machen deutlich:
Führung scheitert nicht daran, dass jemand neurodivergent ist.
Führung scheitert daran, dass wir uns selbst unsicher fühlen – und deshalb nicht wissen, wie wir reagieren können.
Sobald Sicherheit entsteht, entsteht Führungskompetenz.
Eine Kompetenz, die nicht nur neurodivergente Mitarbeitende stärkt, sondern jede Form von Teamdynamik.
Und genau das ist der Kern einer neuroinklusiven Führungsqualität:
Authentizität, die aus fundiertem Wissen und gelebter Erfahrung erwächst – und die Dir ermöglicht, Menschen wirklich zu führen.
TEIL 5: DIE LANGFRISTIGE PERSPEKTIVE – NEUROINKLUSIVE FÜHRUNG ENTWICKELN
Die Offenlegung einer ADHS-Diagnose ist oft der Beginn einer tieferen Transformation – nicht nur für den betroffenen Mitarbeiter, sondern für Dich als Führungskraft und für das gesamte Team.
Neuroinklusive Führung bedeutet, die neurologische Vielfalt in Deinem Team als Stärke zu begreifen. Menschen mit ADHS bringen oft außergewöhnliche Kreativität, Innovationskraft und die Fähigkeit mit, “out of the box” zu denken. Sie können Hyperfokus entwickeln, sind oft sehr empathisch und bringen frische Perspektiven in festgefahrene Prozesse.
Dr. Michelle Mowery erklärt: “Teams mit neurodiversen Mitgliedern sind nachweislich innovativer und erfolgreicher – aber nur, wenn die Führung versteht, wie sie diese Vielfalt nutzen kann.”
Das bedeutet für Dich:
* Entwickle ein Bewusstsein für verschiedene Denkstile in Deinem Team
* Schaffe Strukturen, die verschiedene Arbeitsweisen unterstützen
* Nutze die Stärken jedes Teammitglieds gezielt
* Baue eine Kultur der psychologischen Sicherheit auf
ABSCHLUSS & CALL-TO-ACTION
Wenn ein Mitarbeiter Dir vertraut und seine ADHS-Diagnose teilt, dann ist das ein Moment der Wahrheit für Deine Führung. Du kannst diesen Moment nutzen, um Vertrauen aufzubauen, die Zusammenarbeit zu verbessern und ein inklusiveres Team zu schaffen. Oder Du kannst ihn verspielen durch unbedachte Reaktionen und verpasste Chancen.
Die Wahl liegt bei Dir.
Hier sind Deine drei wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Episode:
Erstens: Deine erste Reaktion verrät mehr über Dich als über Deinen Mitarbeiter. Wenn Du zweifelst oder verharmloste, dann zeigt das Deine eigene Unsicherheit – nicht die Ungültigkeit der Diagnose.
Zweitens: Labels sind weniger wichtig als individuelle Bedürfnisse. Anstatt Dich auf die Diagnose zu fokussieren, konzentriere Dich auf die Frage: “Wie kann ich diese Person am besten unterstützen?”
Drittens: Neuroinklusive Führung ist nicht nur ethisch richtig – sie ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Teams, die neurologische Vielfalt wertschätzen und nutzen, sind innovativer und erfolgreicher.
Deine Aufgabe für die nächste Woche: Reflektiere über Deine eigenen Reaktionsmuster. Wenn jemand Dir etwas Persönliches anvertraut – sei es eine Diagnose, eine Herausforderung oder ein Bedürfnis – wie reagierst Du? Neigst Du dazu zu zweifeln, zu verharmlosen oder zu kategorisieren? Oder bleibst Du neugierig und offen?
Übe die hilfreichen Fragen aus dieser Episode. Schreibe sie Dir auf und habe sie griffbereit für das nächste Gespräch mit einem Teammitglied.
In der nächsten Episode sprechen wir darüber, wie Du psychologische Sicherheit in Deinem Team schaffst – das Fundament für alle offenen, vertrauensvollen Gespräche.
Wenn Dir diese Episode geholfen hat, dann teile sie mit anderen Führungskräften. Jeder Mensch, der lernt, empathischer und inklusiver zu führen, macht unsere Arbeitswelt ein bisschen besser.
Bis zum nächsten Mal! Sei präsent, sei verbunden. Führe mit dem Verständnis für Dein Nervensystem – und das Deiner Teammitglieder.
OUTRO
Das war NeuroLeadership – Führung trifft Nervensystem. Dein Podcast für klare Führung, mentale Stärke und neuroinklusive Organisationen.